Zwischendurch blöder als nötig
Das engagierte Sachbuch „Erzählende Affen“ von Samira El Ouassil und Friedemann Karig ist eine erhellende Lektüre – außer wenn das Autorenduo das Christentum anpatzt. Dann dominiert Kindergartenniveau.
Bei der Einleitung und im 1. Kapitel hätte ich das Buch fast in die Ecke gepfeffert. Das wäre schade gewesen, denn die „Erzählenden Affen“ von Samira El Ouassil und Friedemann Karig wissen insgesamt viel Erhellendes zum menschlichen Drang zu sagen, die Welt in Geschichten zu denken und zu vermitteln. Auf rund 500 Seiten entführt das Autorenduo in den Kosmos der Narrative, und sie tun das anhand von zwölf Abschnitten der berühmten „Heldenreise“, eines Erzählkonzepts des US-Forschers Joseph Campbell aus dem Jahr 1949. Diese Reise führt den Helden aus der gewohnten Umgebung auf einen Weg der Bewährung und des Abenteuers, flankiert von Mentoren und ermächtigt durch ungeahnte Kräfte, die sich der Held im Lauf der Geschichte aneignet. Wer „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ kennt, weiß, wohin diese Reise geht: Der Held wächst über sich hinaus und besiegt mit der Hilfe von Verbündeten das Böse.
Dass die Helden in unseren Mythen, Romanen und Hollywoodschinken meist Männer sind, aber nur selten Frauen, veranlasst das Autorenduo in Kapitel 9, „Ergreifen des Schwerts. Das nicht so starke Geschlecht“, zu einer fundamentalen Kritik an den männlichen Narrativen, die unsere Gesellschaft durchziehen. Auch die Heldenreise selbst mit ihrer Verherrlichung des Einzelkämpfertums wird als patriarchales Muster kritisiert, das es im Sinne einer gleichberechtigten Gesellschaft zu überwinden gilt. Dass die beiden Autoren dennoch die Stationen der Heldenreise als strukturierendes Element für ihr Buch anwenden, wirkt vor diesem Hintergrund etwas inkonsequent. Schließlich arbeiten sie in Kapitel 10, Untertitel „Woran Erzählungen beim Klima scheitern“, glaubhaft heraus, dass wir neue, auf Kooperation basierende Narrative benötigen, um aus der Grube, die wir uns gegraben haben, herauszufinden.
Wie lässt sich die Klimakrise erzählen?
Besagtes Klima-Kapitel ist für mich das interessanteste. Denn einerseits zeigen El Ouassil und Karig darin auf, dass wir die „Man in the hole“-Geschichte überwinden müssen, in der wir im Hinblick auf das Klima feststecken. Mit „Man in the hole“ ist ein Erzählschema gemeint, das den Blick auf Individuen in Bedrängnis richtet, aber vielfach, ohne Auswege aufzuzeigen, weil man als Einzelner eh nichts machen könne. Auch wissen die Autoren, dass die westliche Welt dank gezielter Lobbyarbeit von Ölkonzernen Jahrzehnte damit verschwendet hat, die Änderungen des globalen Klimas durch Treibhausgase zu leugnen oder sie sich als naturgegeben schönzureden. Eindringlich fordern sie eine realistische Deutung der Zusammenhänge von Ökologie und Ökonomie und eine Abkehr von der Wachstumserzählung der Wirtschaft, die nur in einem ökologischen Desaster münden kann. „Ohne halbwegs intakte Ökologie keine Chance auf florierende Ökonomie. Ein Kurs voller Kompromisse, der das Klima nur ein bisschen schützen will, um nicht zu viel ökonomische Veränderung einfordern zu müssen, löst eine sich exponentiell verschlimmernde Krise nicht. Im Gegenteil.“ (S. 403) Eine der Ursachen für die Ausbeutung der Natur sieht das Autorenduo übrigens in der biblischen Aufforderung „Macht euch die Erde untertan“.
Infantile Bibelschelte
Die Bibel selbst nennen sie „eine recht unterhaltsame Sammlung fantastischer Kurzgeschichten“ – und damit bin ich bei einem der Gründe, warum ich das Buch anfangs aus dem Fenster schmeißen wollte. Selbst als Agnostiker, den mit der Kirche nicht mehr viel verbindet, finde ich es kindisch, in einem Sachbuch derart abfällig über die Bibel und die christlich-jüdische Glaubenswelt zu reden. Schon im Eingangskapitel wurde Jesus Christus in eine Reihe gestellt mit Frodo aus „Herr der Ringe“, Alice im Wunderland und Ellen Ripley von „Alien“– so als wäre Jesus („der angebliche Sohn Gottes“, wie sich die Autoren entblöden, ihn zu apostrophieren) ein x-beliebiger Roman- oder Fantasyheld. Doch das ist zweifach infantil: Einerseits ist es ein Armutszeugnis im Hinblick auf die gedankliche Trennschärfe des Autorenduos, das bei religiösen Themen nicht über die Trotzphase hinauskommt, andererseits ein vergebener Punkt, wenn es darum geht, die Macht von Narrativen zu demonstrieren. Denn religiöse Erzählungen haben unser Denken und unsere Kultur stärker als die meisten anderen Erzählungen geprägt und müssten allein schon deshalb besondere Achtung verdienen, wenn man sich mit der Wirkweise von Narrativen befasst. Die Bibel in einen Topf mit versponnenen Fabeln, Fantasyromanen und Science-Fiction-Filmen zu schmeißen, führt eigentlich nur dazu, dass man die geistigen Kapazitäten der Autoren in Zweifel zieht. Umso mehr, als sie auch an anderen Stellen gerne mal beherzt danebenhauen, zum Beispiel wenn sie schreiben: „Wenn das Sein dem Bewusstsein folgt und das Bewusstsein von ebendiesen Geschichten auf gewisse Kausalitäten hintrainiert wurde, liegt der Schlüssel zu einem gerechteren Sein im Kern dieser Narrative.“ – Allerdings sagen Marx und Engels, auf die sich El Ouassil und Karig hier offensichtlich beziehen, genau das Gegenteil: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Damit bricht die ganze Kausalitätskette der „Erzählenden Affen“ in sich zusammen. Doof.
Engagierte Zusammenschau
Solche Ausrutscher schmälern unnötig das Verdienst, das sich die beiden Autoren mit ihrer engagierten Zusammenschau aktuell verfügbaren Wissens über das Erzählen und seine Auswirkungen auf unser Leben angehäuft haben. In „Erzählende Affen“ spannen sie einen weiten Bogen von den frühesten Mythen der Menschheit bis hin zu den „Fake News“ und Desinformationen, die im digitalen Zeitalter um sich greifen. Und sie verdeutlichen auch, wie die alte US-Geschichte „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, die in den vergangenen Jahrzehnten in neoliberaler Form eine ungeahnte Blüte in der westlichen Welt erlebte, uns ökologisch in eine prekäre Lage gebracht hat.
Die Autoren meinen, es brauche ein neues Narrativ, wenn wir die Krise überwinden wollen, in der der „erschöpfte Affe“ (11. Kapitel) sich befindet. Nur, so möchte ich ergänzen, sollte man nicht naiv glauben, dass es mit einer guten Erzählung getan ist und dass man die Gesellschaft mit Hollywoodfilmen oder woken Mythen wie der stets fluiden Genderidentität auf Dauer zum Besseren manipulieren kann. Die Geschichte, die dazu beiträgt, das Klima und damit die Welt zu retten, muss – wie es alle wirksamen Geschichten tun – auch ein tiefes Bedürfnis in unserem Inneren ansprechen. Sonst wird sie nicht verfangen.
Samira El Ouassil & Friedemann Karig: Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopie. Wie Geschichten unser Leben bestimmen. 2. Auflage. Ullstein Taschenbuch: Berlin 2023