Verkehrte Werte bei der Wahl
Ich will nicht verhehlen, dass ich mit dem infamen Krawallton vieler ihrer Repräsentanten, dem national-chauvinistischen Getöns ihrer Kernwählerschaft und dem Schweif an Skandalen, den die FPÖ hinter sich herzieht, nicht das Geringste anfangen kann. Und trotzdem ringen mir die Kampagnen dieser für mich unwählbaren Partei in professioneller Hinsicht als Texter und Dozent für professionelles Schreiben immer wieder Respekt ab. Ein Gutteil der Wahlerfolge der FPÖ geht meines Erachtens eindeutig auf das Konto ihrer taktisch innovativen Wahlwerbung. Die kommt zwar visuell altbacken daher wie Gewerkschaftsbroschüren aus den 1980er-Jahren (positiv formuliert kann man es auch „vertraut“ nennen), aber weist inhaltlich echte Raffinesse auf.
Wie keine andere österreichische Partei versteht es die FPÖ seit Jahren, mit ihren Slogans und Claims die Emotionen der Wähler zu triggern und mit ihren Worten im Gedächtnis zu bleiben. Das begann bereits in der Ära Haider in den 1990er-Jahren und setzte sich unter Parteichef H. C. Strache spätestens im Nationalratswahlkampf 2006 mit gereimten Sprüchen fort. Diese gehen leicht ins Ohr gehen und brechen komplexe gesellschaftspolitische Sachverhalte auf ein simples Entweder-Oder-Schema bzw. Wir-oder-sie-Muster herunter. Beispiel: Der FPÖ-Slogan „Daham statt Islam“ aus dem Jahr 2006. Reime – und hier insbesondere einfache Reime, die wie Kinderlieder funktionieren – sind Schnellzüge ins Emotionale. Sie gehen auf kurzem Weg in unser sprachliches Stammgedächtnis ein und können dort jahrzehntelang haften bleiben.
Genialer FP-Coup 2013: Die „Nächstenliebe-Tour“
Mit Worten Emotionen auslösen zu wollen, heißt in der Werbung nicht unbedingt, Harmonie anzustreben. Auch Aversion führt zu einer Form von Bindung und bewirkt, dass man sich zwangsläufig mit jenen Produkten, Angeboten oder eben Wahlansagen beschäftigt, die Emotionen auslösen. Der nächste geniale Coup in dieser Hinsicht gelang der FPÖ bei der Nationalratswahl 2013, als sie Plakate mit dem Slogan „LIEBE deine NÄCHSTEN“ affichierte. Der Parteichef H. C. Strache posierte darauf als Mischung aus Erlöser, dem ältere Damen zärtlich über die Wange strichen, und Schnulzenschlagerstar, der nicht Wahlkampf betrieb, sondern auf „Nächstenliebe-Tour“ ging, wie er seine Wahlkampfreise tatsächlich nannte.
Auch diese Kampagne provozierte (unter anderem den Protest kirchlicher Vertreter) und spaltete die Meinungen, aber ließ kaum jemanden unberührt. Seinen Fans ermöglichte Strache mit der „Nächstenliebe“-Kampagne die Vertiefung ihrer emotionalen Bindung zu ihrem Parteiführer. Seinen Gegnern bot er die Möglichkeit, sich kräftig über die Unverschämtheit aufzuregen, wie man es wagen kann, eine Politik der Ausgrenzung, die gewürzt ist mit abschätzigen Bemerkungen gegenüber Andersdenkenden, mit DEM christlichen Kernbegriff überhaupt in Verbindung zu bringen. Doch Frechheit siegt (leider) in der Werbung: Die FPÖ erhielt über 20 % der Stimmen und konnte damit den Stimmenanteil gegenüber 2006 fast verdoppeln.
Postmoderne Werbung der Anti-Modernen
Indem Straches FPÖ sich den Begriff „Nächstenliebe“ aneignete, markiert die Kampagne von 2013 zugleich einen Meilenstein in Sachen „Umwertung der Werte“ in der Wahlwerbung. Man muss Friedrich Nietzsches Philosophie, die die gedanklichen Grundlagen dafür liefert, nicht kennen, um das Konzept zu verstehen: In der postmodernen Beliebigkeit (deren geistiger Ahnherr Nietzsche ist), lässt sich jeder Begriff mit jedem und allem – und auch seinem Gegenteil – in Verbindung bringen. Oft genug führt das in der Wirtschaft, aber auch in der Politik, zu paradoxen oder euphemistischen Zuschreibungen: Massenprodukte, die sich abermillionenfach verkaufen, gelten als luxuriös und einzigartig (Beispiel iPhone), Dilettanten bezeichnen sich als „kompetente Partner“ (kennt jeder), Entlassungen werden von Firmen als „Freisetzungen“ gepriesen. Für die Werbung heißt das: „Anything goes“. Die von ihrem Denken her restaurative, streng hierarchische und anti-moderne Instinkte ansprechende FPÖ war in paradoxer Konsequenz die erste Partei, die diesen postmodernen Kampfspruch in ihrer Wahlwerbung produktiv einsetzte.
Spannung mit verkehrten Werten
Österreich ist politisch in Bewegung geraten, viele sprechen auch von einer tiefen Krise des Systems. Sicher ist: Nichts ist mehr, wie es einmal war. Und ein Ausdruck davon ist, dass erstmals seit Bestehen der Zweiten Republik nicht Vertreter der ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP die Stichwahl um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten austragen, sondern der ehemalige Grünen-Parteichef Alexander Van der Bellen und der amtierende Vizeparteichef der FPÖ, Norbert Hofer. Am 22. Mai 2016 wird sich für Österreich entscheiden, ob es mit Van der Bellen einen Präsidenten wählt, der als Repräsentant des demokratischen Österreich auf bewährte Weise als Staatsmann fungiert, oder mit Hofer einen, der mit seinem „neuen Amtsverständnis“, das er plakatiert, möglicherweise die Rutsche zu einem Umbau des Staates in Richtung autokratisches System legt.
Die heurige Wahl zum Bundespräsidenten ist damit politisch eine der spannendsten und kontroversesten, die Österreich je erlebt hat. Und sie stellt auch aus werbetexterischer Sicht eine professionelle Konfrontation auf höchstem Niveau dar. Denn nun haben auch andere Parteien – nämlich Van der Bellens Wahlkampfteam aus dem grünen Lager – die erfolgreichen Taktiken der FPÖ aufgegriffen, sich Werte und Worte zuzuschreiben, die man eigentlich beim politischen Gegner vermuten würde.
Alexander Van der Bellen ist von seiner politischen Sozialisation her als intellektueller Linker punziert, was in gewissen Kreisen ein doppeltes Schimpfwort ist. Nun hat er sich den jahrzehntelang in linken Gruppen verpönten und bis ums Jahr 2000 vorwiegend in nationalistischen Kontexten gebräuchlichen Begriff „Heimat“ angeeignet. Das Wort „Heimat“ hat sich allerdings in den vergangenen 15 Jahren mit dem Trend zur neuen Heimatverbundenheit (Lederhosen- und Dirndlboom) seinen Weg in die breite Mitte zurückerobert. Zudem schlägt „Heimat“ über die Assoziation mit der Natur die Brücke zur Umwelt und zum Umweltschutz, also zu grünen Kernthemen. Ganz kampflos will die Rechte ihr vermeintliches Monopol auf den Heimat-Begriff aber nicht abgeben, wie die Diskussion der Kontrahenten vor Pfingsten in Graz zeigte. Hofer untergriffig: „Wenn die Grünen mit ‚Heimat‘ Werbung machen, ist das nicht ehrlich. Das wäre so, wie wenn ich sage: ‚Drogenfreigabe für alle‘.“ Van der Bellen hätte ihm widersprechen müssen. Er hätte sagen sollen: „Nein, das ist ungefähr so, wie wenn Sie mit der Vernunft werben!“
„Stimme der Vernunft“?
Wo Van der Bellen in seiner Wahlwerbung mit den Schlüsselbegriffen „Heimat“ und “Kraft“ arbeitete, die man eher bei seinem politischen Gegner ansiedeln würde (und mit dem Begriff „Gewissen“, der vermutlich die katholische Wählerschaft ansprechen soll), setzte Hofer bisher auf massive Kritik am geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP – diese Kritik könnte genauso gut von den Grünen stammen – und überrascht auf den Plakaten zur Stichwahl mit dem Slogan „Stimme der Vernunft“, die man viel eher bei dem habilitierten Ökonomen Van der Bellen verorten würde.
Hofer hat zwar auch den Spruch „Das Recht geht vom Volk aus“ in Beschlag genommen, der die wütenden „Wir sind das Volk“-Parolen der deutschen Pegida-Märsche von 2015 in Erinnerung ruft. Der Slogan „Stimme der Vernunft“ ist aber interessanter, denn er erlaubt es – im Sinn der Umwertung der Werte – der Klientel des Kandidaten Hofer, den Begriff Vernunft auch auf sich zu beziehen. Die oft irrationalen, von tiefer Enttäuschung und hasserfüllter Ablehnung der Regierungsparteien gezeichneten Fan-Postings für Hofer in den sozialen Netzwerken haben mit Vernunft ungefähr so viel zu tun wie Peking im Winter mit einem Luftkurort oder H. C. Strache mit Nächstenliebe. Indem aber Hofer in seinen öffentlichen TV-Auftritten bisher mit geschulter rhetorischer Souveränität punkten konnte, ermöglicht er es auch jenen seiner Wähler, die von aberwitzigen Ressentiments und geistiger Kleinkariertheit gebeutelt werden, sich selbst als vernünftig wahrzunehmen. Und er reicht gleichzeitig den gemäßigten und tatsächlich vernünftig denkenden Menschen verbal die Hand, die den meist als Scharfmacher agierenden Strache nicht wählen würden, sich aber mit dem sympathisch rüberkommenden Hofer als Präsident arrangieren könnten und dafür auch bereit sind, die nationalistisch-autoritären Ober- und Untertöne zu überhören, die mit seinem Eintreten für ein „neues Amtsverständnis als Bundespräsident“ verbunden sind.
Der Wahlkampf 2016 um Österreichs Bundespräsidentschaft ist in seiner Endphase so spannend – und aus werblicher Sicht perfekt – wie bisher kaum einer in der Zweiten Republik. An den Wahlkampagnen wird es jedenfalls nicht liegen, dass einer der beiden Kandidaten am 22. Mai zwangsläufig den Kürzeren zieht. Im Sinne der Offenheit und Verlässlichkeit und Hunderter anderer Gründe hoffe ich auf Van der Bellen als Präsidenten. Er gibt (wenn er nicht gerade mit Hofer allein in einem Fernsehstudio sitzt) den besseren Staatsmann ab.
PS: Die wenigen Hoppalas
Werner Schandor, 13. Mai 2016