Meine Notizbuch-Hitparade 2024
Gibt es das perfekte Notizbuch? Wahrscheinlich nicht. Aber es gibt ein paar, die für mich ziemlich nahe an die Perfektion herankommen. Und ein paar wenige, die danebenhauen. Lesen Sie hier Teil 2 meines Notizbuch-Erfahrungsberichts.
Als ich mich 2019 an den Vergleich von Notizbüchern machte, hatte ich keine Ahnung, wie groß das Angebot an qualitativ ansprechenden Schreibbüchern am Markt ist. In den vergangenen fünf Jahren hatte ich reichlich Gelegenheit, bewährte Notizbücher einem Dauertest zu unterziehen und neuen Büchern eine Chance zu geben. Einzige Bedingung: Das Papier muss mindestens 90 g stark sein, damit die Füllfedertinte nicht auffällig durchscheint, und es darf nicht reinweiß sein.
Im Folgenden gebe ich meine Erfahrungen mit folgenden Büchern wieder:
- Paper-Oh „Circulo“ (im Langzeittest),
- Clairefontaine „My Essentials“,
- Legami „My Notebook“,
- Semikolon „Cutting Edge“,
- Bindewerk „Gina“ und
- zwei Bücher von Buchbindereien in Deutschland und Italien.
Buch super, Shop nicht: Paper-Oh „Circulo“
In den letzten fünf Jahren habe ich zahlreiche Bücher von Paper-Oh gefüllt (s. Titelbild). Ich mag das Design, das Format, das geringe Gewicht von knapp 250 g und vor allem die Schließflappe, die mir das Gefühl gibt, dass meine Entwürfe vor neugierigen Blicken geschützt sind. Auch das Papier lässt mit einer Stärke von 100 g nichts zu wünschen übrig. Weniger fein ist in Zeiten des Klimawandels, dass die Vertriebswege doch ziemlich lange sind. Das Design der Bücher ist zwar „Made in Germany“, die Produktionsstätte befindet sich allerdings in China.
Probleme gab es mit dem Onlineshop von Paperblanks. Als eine größere Lieferung von Paper-Oh-Notizbüchern auf dem Postweg verloren ging, musste ich mehrere Mails schreiben und zwei Telefonate mit einem Callcenter in Irland führen, bis ich die Zahlung nach ein paar Wochen endlich rückerstattet bekam. Kundendienst ist nicht die große Stärke des Paperblanks-Onlineshops, und ich habe nach dieser Erfahrung auch nicht mehr dort bestellt.
Ärmelschonerflair: Clairefontaine „My Essential“
In meinem ersten Notizbuch-Vergleich habe ich vom Papier der Rhodia-Bücher geschwärmt. Es stammt aus der französischen Papiermühle Clairfontaine, und wer die taktil beglückende Rhodia-Aufmachung mit Kunstleder nicht benötigt, kann das gleiche Papiererlebnis in den broschierten Notizbüchern der Reihe „My Essential“ von Clairfontaine zu einem günstigeren Preis erhalten.
Gut: Das 90 g schwere Papier ist tintentauglich, glatt wie Pergament und unproblematisch in der täglichen Verwendung. Dazu kommt eine hervorragende Ausstattung: 184 nummerierte Seiten, davon die letzten 8 Blätter mikroperforiert zum leichteren Heraustrennen; 8 vorangestellte Seiten für das Inhaltsverzeichnis; ein Lesebändchen; ein Gummiband zum Verschließen des Buches; je eine Aufbewahrungstasche in den Umschlagseiten vorn und hinten; die Fadenbindung ist ordentlich und die Ecken sind abgerundet.
Mittel: Der an die Wirtschaftswunderzeit erinnernde kartonierte Umschlag mit seiner Prägung, die Rindsleder imitiert, macht einem jederzeit deutlich, dass man es mit der Basisvariante eines Notizbuchs zu tun hat. Der Umschlag vermittelt reinstes Ärmelschonerflair.
Das Überambitionierte: Legami „My Notebook“
Ein Buch der italienischen Marke Legami schaut schick aus, fühlt sich dank des Kunstledereinbands gut an und wartet mit Lesebändchen sowie 90 g schwerem, samtigem Papier auf.
Aber: Es schießt sich allzu sehr auf eine junge Zielgruppe ein. Zitat von der Legami-Website: „Wähle deine Farbe. Du wirst immer die Zeit haben, das Notizbuch mit bunten Stiften, gemustertem Klebeband, Pins und Stickern noch einzigartiger zu gestalten!“ Hm. Ich suche nichts zum Basteln, ich möchte einfach schreiben. Für Legami-Kunden ist das scheinbar nicht genug. Die Firma bestückt ihr – mit 13 cm etwas schmales – Notizbuch mit einer Weltkarte, auf der man die Orte einzeichnen soll, an die man reisen will. Darauf folgt eine Seite mit Jahreszielen, die man sich setzen kann, und die man auf den anschließenden Seiten mit den Monatszielen noch verfeinern soll. Als ich diesen Seiten entnervt mit der Schere zu Leibe rückte, blutete mein Herz. Ebenfalls herausgetrennt habe ich die zu dicke Leseflappe inkl. Kunstleder-Aufbewahrungstasche auf der hinteren Umschlagseite, denn die war von vorn bis hinten auf allen rechten Seiten durchzuspüren. Wer, bitte, kommt auf die Idee, so ein Schreibhupferl einzubauen?
Wenn man am eigenen Leben basteln will, ganz gut. Fürs Schreiben weniger.
Am Ende des Buches wird man von einem Kalenderspruch verabschiedet: „We are young and we are curios. We are dreamers, travellers and we believe in what we are doing.” Ich bin vermutlich zu alt, als dass solche Brainwashing-Angebote bei mir verfangen würden. Ohne das vor aufgesetzter Lebenslust schäumende Werbe-Blabla und den Reinfall mit der Kunstleder-Aufbewahrungstasche hätte ich das Buch ganz gut gefunden. Mi dispiace.
Die Oberklasse: Semikolon „Cutting Edge“
Vor Jahren hatte ich ein spiralisiertes Notizbuch von Semikolon und war vom samtigen Papier begeistert. Bei einer Internetrecherche entdeckte ich, dass es von dieser Marke auch gebundene Notizbücher gibt. Und außerdem verriet das Impressum, dass Semikolon ein Ableger der „Leuchtturm1917“-Gruppe ist. Also darf man auch bei Semikolon mit tadelloser deutscher Wertarbeit rechnen. Bzw. mit solider tschechischer Wertarbeit, denn die Bücher werden in Tschechien gebunden. Im Gegensatz zu den etwas leblosen Leuchtturm-Notizbüchern zeigt die Produktlinie „Cutting Edge“ der nobleren Schwesternmarke durchaus Kante und hat dadurch einen eigenen Charme.
Qualität und Klarheit: Semikolon verdient den Mercedesstern
Das fängt schon mal mit dem Einband an, der teils mit Buchleinen, teils mit farbigem Efalin-Papier überzogen und so stark ist, dass man ihn nur mit Gewalt durchbiegen könnte. Im Buchinneren gibt es wenig Schnickschnack: nur ein Lesebändchen, und die 176 Seiten sind nummeriert. Das war’s auch schon. Das Schreibpapier stammt aus der schwedischen Papiermühle Munken, ist 100 g schwer und hat eine feine, aber nicht allzu glatte Oberfläche. Es bietet Füllfedern einen guten Untergrund. Mehr braucht man als Schreiberling nicht. Ein tolles Buch, das mich dank seiner hervorragenden Qualität und trotz seines hohen Gewichts von 430 g völlig begeistert!
Das original Bayrische: Bindewerk „Gina“
Bobo-bodenständig: die am Chiemsee gebundenen Bücher vom Bindewerk
Wer‘s nicht ganz so robust braucht wie von Semikolon, ist mit den Büchern aus der Manufaktur Bindewerk gut bedient, die seit 1992 am Chiemsee werkt. Der Umschlag der Serie „Gina“ ist ein Flexo-Einband aus relativ robustem Karton, der mit gemustertem Zierpapier überzogen ist. Für den Buchrücken wird schwarzes Buchleinen verwendet. Das Papier bringt „nur“ 90 g auf die Waage, was aber zum Schreiben stark genug ist, und hat eine leichte Streifenstruktur. „Gina“ wiegt moderate 380 g. Ein Flachgummiband zum Verschließen und eine Einstecktasche hinten auf der Innenseite des Einbands runden das Paket ab. Das Bindewerk legt damit ein tadelloses Produkt vor, in dem Handwerksqualität und nach Dinkel duftender Bioladenstil eine harmonische Verbindung eingehen.
Das Anonyme von der Buchmesse
Ein Hauch von guter, alter Zeit: das Handgebundene aus Frankfurt
Die Frankfurter Buchmesse fand 2021 in einer coronabedingt abgespeckten Form statt. Während einer meiner Rundgänge blieb ich am Stand eines Buchbinders hängen. Seine Bücher haben mich gleich angelacht. 160 Seiten, mutmaßlich 100 g schweres, ebenfalls leicht strukturiertes Papier, ein stabiler Kartoneinband, der von der Stärke irgendwo zwischen den Büchern von Semikolon und Bindewerk liegt. Dazu ein etwas biedermeierliches Design, das zur Not auch als italienisch durchgehen kann. Man fühlt sich damit wie an Omas Küchentisch versetzt. Gutes Ding. Leider habe ich mir den Namen des Buchbinders nicht gemerkt, und der Produzent hat seinerseits vergessen, sein Erzeugnis zu kennzeichnen … Na dann, bis zum nächsten Mal bei der Buchmesse!
Das Individuelle aus Venezia
Nicht Florenz, sondern Venedig ist unter den Tourismusmetropolen Italiens ein Mekka für Notizbuchliebhaber. Dort, im Stadtteil San Polo, im Windschatten der Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari, geht die Buchbinderei „Il Pavone“ (Der Pfau) ihrem Handwerk nach. Als eine von mehreren Werkstätten in der Lagunenstadt.
Die nächsten Bücher sind schon in Arbeit: Blick in die Buchbinderei „Der Pfau“
Der kartonierte Einband der Pfauen-Bücher ist mit Marmorpapier überzogen, daher fällt jedes Exemplar 100 % individuell aus. Ich habe mich bei meinem Venedig-Besuch im Frühjahr 2021 für ein dunkles, distelartiges Muster entschieden. Wie sein deutsches Pendant ist auch das italienische „taccuino“ fadengeheftet und mit 80 Blatt (= 160 Seiten) von gutem, leicht strukturiertem Schreibpapier ausgestattet. Da das venezianische Buch bei gleicher Seitenzahl etwas dünner ist als das deutsche, gehe ich davon aus, dass das Papier eine Stärke von 90 g hat. Im Schreiballtag fällt der Unterschied kaum auf. Gleich wie das deutsche Buchbindererzeugnis konzentriert sich auch das italienische aufs Wesentliche, will heißen: kein Lesebändchen, keine Innentasche, kein Flachgummi zum Verschließen. Braucht man auch nicht. Schönes Buch, super Einband – und ein tolles Souvenir für Leute, die gerne schreiben.
Jedes Buch ein Unikat. Individualität dank Marmorpapier am Einband.
Wer die 2019er-Hitparade nachlesen möchte: hier geht es zum 1. Teil des Notizbuch-Vergleichs.