Ein Einzeller gibt Gas
Als die in Graz lebende Autorin Claudia Schmitz-Esser im Herbst 2019 ihren Roman „Parasit ToGo“ im Grazer Literaturhaus vorstellte, wirkte Literaturhaus-Chef Klaus Kastberger im Gespräch nach der Lesung reichlich verblüfft davon, dass es Organismen geben soll, die das Leben und Handeln von Menschen komplett im Griff haben – so wie das dem Einzeller Toxoplasma gondii nachgesagt wird, den die Autorin zur Hauptfigur ihres Romanes machte. Heute, wo aktuell das Coronavirus unsere Gesellschaft in Atem hält, erscheint Claudia Klingenschmids Zugang zum Thema Mikroorganismen realitätsnäher, als es den meisten lieb ist.
Bereits als Studienassistentin an der Universitätsklinik Innsbruck in den späten Nullerjahren hatte sich die in Tirol aufgewachsene Autorin mit Neuropsychologie beschäftigt. In ihrem ersten Roman, den sie 2019 unter ihrem Mädchennamen Claudia Klingenschmid veröffentlichte, knüpft die studierte Psychologin an dieses Themenfeld an, gibt ihm aber einen ganz eigenen, subversiven Twist: „Parasit ToGo“ ist aus der Sicht eines abgefeimten Einzellers geschrieben – eben des Parasiten Toxoplasma gondii.
Treibt Toxoplasma Mäuse in Katzenmäuler?
Die Toxoplasmose ist an sich eine harmlose Infektion, kann aber Schäden an Ungeborenen hervorrufen. Daher werden Schwangere bei uns auf Toxoplasma getestet. Aber das ist nicht das Einzige: Es gibt Forscher, die meinen, dass dieser Parasit seine Wirte fest im Griff habe und ihren Willen manipuliere. Auch wenn ihnen das nicht bewusst sei, würde der Parasit sie immer wieder in gefährliche Situationen bringen. So werden angeblich Mäuse und Ratten mit Toxoplasma von Katzenurin angezogen, was für die Nager böse enden kann; und auch bei Menschen komme es zu deutlich erhöhtem Risikoverhalten, etwa im Straßenverkehr – und alles nur, damit ToGo sich ein neues Zuhause in einer Katze suchen kann, so die Vermutung. Denn nur in Katzen kann sich der Toxoplasma-Erreger vermehren.
Claudia Schmitz-Esser hat diese Toxoplasmose-Theorie aufgegriffen und in einen kurzweiligen Roman gegossen, der einem literarischen Parforceritt ähnelt. Die Hauptfigur ist ein Vertreter der besagten parasitären Einzeller-Spezies, die verschiedene Wirte zu Fall bringt: von einer Pensionistin in Wien über einen sexsüchtigen Womanizer in den USA, eine Klapperschlange in Arizona, ein ehrgeiziges Schwein in Utah, ein eitles Frettchen und eine verschlafene venezianische Möwe bis hin zu einem Schwertwal, dessen kontaminiertes Fleisch auf einem japanischen Delikatessen-Teller landet.
Sieben Todsünden
Die Kapitel des Buches sind entlang der sieben Todsünden angeordnet: Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Gefräßigkeit, Neid und Faulheit. Jedes Kapitel ist in Ich- bzw. Wir-Form aus der Sicht des amöbenhaften Parasiten verfasst, der launig die Lebensweisen seiner verschiedenen Wirtslebewesen kommentiert, von der gefräßigen Fliege bis hin zur altersweisen Dame in Japan. Inspiration für die Kapitel – etwa über Schweinezucht in den USA – holte sich die Autorin unter anderem bei YouTube-Videos.
Thematisch ist Klingenschmids Buch wohl ziemlich einzigartig. Literarisch steht der Roman mit dem possierlichen Untertitel „Die geheimen Wirtschaften eines Urtierchens“ in der Tradition des Schelmenromans, zu dem etwa „Der brave Soldat Schweijk“ oder „Forrest Gump“ zählen. In Schelmenromanen geht es meist um einen Underdog, der sich mit Mutterwitz und Hartnäckigkeit in der Welt durchzusetzen weiß. So wie der Parasit Toxoplasma gondii – oder gegenwärtig das mutierte Corona-Virus (von dem man aber noch nicht weiß, ob es lustig ausgeht). Jedoch: Am Ende vom Roman, so viel sei verraten, hat ToGo die Rechnung ohne den Wirt bzw. konkret die Wirtin gemacht. Das lässt wohl auch für Corona hoffen. Eine Leseempfehlung in Zeiten des verordneten Cocoonings ist „Parasit ToGo“ aber allemal.
Claudia Klingenschmid: Parasit ToGo. Die geheimen Wirtschaften eines Urtierchens. Piper-Verlag 2019. 167 Seiten.
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