Digitale Rechtschreibsabotage
Offener Brief an den Rat für deutsche Rechtschreibung in Mannheim
Tun Sie endlich etwas gegen die digitale Sabotage der deutschen Rechtschreibung!
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich fördere Sie im Namen Millionen Betroffener auf, sich in Ihrer Funktion als Rat für deutsche Rechtschreibung an die Firma Microsoft zu wenden und von diesem Unternehmen mit Nachdruck eine möglichst rasche und gründliche Überarbeitung und Verbesserung seiner Rechtschreibprüffunktion in Microsoft Word und den weiteren Programmen des aktuellen Office-Paketes zu verlangen.
Der Grund: Seit der Version Office 2010 schlägt die Microsoft-Rechtschreibprüfung systematisch die Falschschreibung zusammengesetzter Wörter vor, wenn diese Wörter nicht bereits im Benutzerwörterbuch des jeweiligen Anwenders abgespeichert sind. Das betrifft gebräuchliche und weniger gebräuchliche Wörter wie Orts Chef, Dorf Café, Rückgabe klappe, Überarbeitung Bereich, Nuss Brot, Brokkoli aufstrich, Ibis Vogel etc. – um nur ein paar der Begriffe zu nennen, die mir bei aktuellen Lektorats Aufträgen unterkommen. (Auch „Lektorats Auftrag“ wird von der Word-Rechtschreibprüfung erst einmal unterwellt, wenn man das Wort zusammenschreibt.) Mit anderen Worten: Die Rechtschreibprüfung in Word setzt voraus, dass man die Rechtschreibung beherrscht, damit man das Programm mit seiner Kenntnis füttern kann. Die Unintelligenz, die da für jedermann offensichtlich im Hintergrund wirkt, ist sowohl künstlich, was die Algorithmen betrifft, als auch organisch, was die Logik der Entwicklerinnen und Entwickler dieser Fehlentwicklung angeht.
Die Folgen sind fatal: Da sich Schüler und Studenten immer stärker auf die Rechtschreiben Prüfung von Word verlassen, wimmeln mittlerweile Seminar-, aber auch Abschluss Arbeiten an Schulen, Universitäten und Fachhochschulen von Haar sträubenden Falsch Schreibungen. Manche der von mir unterrichteten Germanistik- und Journalismus Studenten berufen sich, wenn sie auf die gehäuften Rechtschreibfehler in ihren Texten angesprochen werden, auf die Rechtschreiben Korrektur, die Ihnen die Falsch Schreibungen vorgeschlagen hat – so wie mir hier in diesem Text, wo ich jeweils den erstbesten Korrekturvorschlag von Word übernommen habe.
Die öffentlichen Auswirkungen sind enorm: Schüler und Studenten zweifeln an der korrekten Schreibung von Wortzusammensetzungen und ziehen im Zweifel die inkorrekte, getrennte Schreibung eines zusammengesetzten Wortes vor, die ihnen von Microsoftprogrammen und Handy-Apps suggeriert werden, wodurch sich die deutsche Rechtschreibung mittelfristig ändern wird. (Und Ihr Gremium wird das wieder einmal verschlafen, so wie Sie erst nach einer Schrecksekunde von ca. 20 Jahren auf die sogenannte geschlechtergerechte Schreibung reagierten.) Nicht zu vernachlässigen sind detto die volkswirtschaftlichen Schäden allein durch den Mehraufwand, den Hunderttausende Lehrerinnen und Lehrer an Schulen und Hochschulen durch die Fehlerhaftigkeit von MS Word beim Korrigieren aufgehalst bekommen. Dennoch – und das verwundert mich – war weder von Ihrem Gremium noch einer der mit dem Rat in Verbindung stehenden Bildungsbehörde im deutschen Sprachraum bisher auch nur ein Wort der Kritik an Microsoft zu vernehmen. Im Gegenteil: Die Microsoft-Programme sind Marktführer im deutschen Sprachraum und werden seit Jahren unkritisch an Schulen und Hochschulen eingesetzt und verbreitet.
Ich möchte Sie daher dringend anregen, sich im Rahmen des Rates für deutsche Rechtschreibung mit elektronischen Korrekturhilfen im Allgemeinen und insbesondere mit den Auswirkungen der fehlerhaften Rechtschreibkorrektur in Microsoft Word zu befassen. Zudem könnten Sie über die Kultusministerkonferenz in Deutschland bzw. das Bildungsministerium in Österreich und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren den Konzern Microsoft auffordern, dass in den deutschsprachigen Produkten des Unternehmens raschestmöglich eine korrekte Behandlung der Zusammenschreibung implementiert wird. Notfalls auch mit wirtschaftlichem Druck: Es gibt durchaus Konkurrenzunternehmen von Microsoft, die die Rechtschreibprüfung ihrer Produkte besser im Griff haben, und die genau so gut massenhaft an von der öffentlichen Hand finanzierten Schulen und Hochschulen verbreitet werden könnten.
Daher wiederhole ich an dieser Stelle den Betreff meines Schreibens: Lassen Sie nicht wieder Jahrzehnte untätig in die Lande ziehen. Tun Sie endlich etwas gegen die digitale Sabotage der deutschen Rechtschreibung!
Mit freundlichen Grüßen
Werner Schandor
Texter, Autor, Hochschullektor