Definiere Storytelling
Viele reden von Storytelling, aber keiner erklärt, was er darunter eigentlich versteht. – Ich versuch’s mal mit einer Definition von Storytelling im Journalismus und in der PR.
Teilnehmerinnen meiner „Storytelling“-Lehrveranstaltung am Studiengang „Public Communication“ berichteten letztens, eines der stärksten Themen beim „15 Seconds“-Festival – einer internationalen Business- und Marketingkonferenz in Graz – sei heuer Storytelling gewesen. Gleich zum Auftakt hatte Sam Olstein, Innovationsdirektor von Generel Electric, in einer Keynote über „Storytelling with Real Big Data“ gesprochen. Eine Managerin von Getty Images referierte in einem Panel über soziale Netzwerke und ihren Einfluss auf das Erzählen mit Bildern. Und Jim Piercy vom Wall Street Journal verriet in einem Vortrag, wie tolle Geschichten funktionieren, und wo man sie findet.
Bei all dem Hype, der seit Jahren um Storytelling grassiert, fällt immer wieder auf, dass ohne brauchbare Definition des Begriffs gearbeitet wird. Viele reden von Storytelling, aber keiner erklärt, was er darunter eigentlich versteht. Ich habe daher für meine Lehrveranstaltungen und Workshops selbst eine Begriffsdefinition geschaffen, die zumindest den Kern des Ganzen umreißt. Die Definition bezieht sich auf Storytelling im Journalismus, Werbung und PR und zielt rein auf die Ebene des Textes, also auf das schriftliche Erzählen von Geschichten ab.
Die Definition lautet:
„Storytelling in Journalismus, Werbung und PR bereitet Informationen nach erzählerischen Kriterien auf, um das Leser- bzw. Kundeninteresse zu wecken, zu steigern oder zu halten. Dies geschieht, indem Informationen in eine Geschichte eingebettet bzw. mit Erzähl-Elementen – wie Beschreibungen von Personen, Handlungen und Orten – angereichert werden.“
Eine Definition ist naturgemäß das Gegenteil von Storytelling – nämlich eine Begriffsbestimmung, die gänzlich ohne erzählerische Elemente arbeitet. Daher ergänze ich diese Definition in meinen Storytelling-Vorlesungen immer, indem ich ein kleines Video der britischen Agentur „Purple Feather“ herzeige. Es ist vielleicht nicht das beste Video zum Thema, aber ich kenne derzeit kein besseres.
Das Gleiche in anderen Worten
Das Video erzählt die Geschichte eines blinden Bettlers, der auf den Stufen eines Platzes im Geschäftsviertel von Glasgow sitzt, vor ihm ein Schild: „Ich bin blind. Bitte helfen Sie mir“. Von den Passanten wird er weitgehend ignoriert – bis eine Frau im Businesskostüm vorbeimarschiert, sein Bettler-Schild begutachtet und es umschreibt. Daraufhin scheppern die Münzen nur so in seine Dose. Als die Frau später wieder vorbeikommt, fragt der Bettler, was sie mit dem Schild gemacht habe. Sie antwortet: „Ich habe das Gleiche geschrieben, nur in anderen Worten.“ Auf dem Schild steht jetzt: „Es ist ein wunderschöner Tag, und ich kann ihn nicht sehen.“
Soweit die Story darüber, was gute Texte im Storytelling bewirken können – nämlich:
- die Identifikation mit Menschen und Marken herstellen,
- dadurch die Abwehr gegen ein Produkt oder einen Menschen senken,
- gesellschaftlich gesehen das Verständnis für andere wecken
- und, ökonomisch betrachtet, den Verkauf ankurbeln.
Auf diese Nutzenaspekte weist die deutsche PR-Expertin Petra Sammer in ihrem Standardwerk „Storytelling. Die Zukunft von PR & Marketing“ hin. Und all das kommt auch im Werbevideo der Agentur „Purple Feather“ zum Ausdruck.
Übrigens: Die Geschichte, die „Purple Feather“ erzählt, ist zwar frei erfunden, aber es gibt tatsächlich eine Stadt, wo Bettler mit Storytelling arbeiten, nämlich Salzburg. Bei meinem Besuch in der Mozartstadt im Oktober 2015 fiel mir auf, dass alle Bettlerinnen und Bettler Schilder besitzen, auf denen in makellosem Deutsch kurz erzählt wird, warum sie auf der Straße sitzen und um Almosen bitten. – Und schon sitzen da Menschen mit einer individuellen Geschichte vor einem und nicht mehr anonyme Fremde, die man als Zumutung für die Geschäftsinteressen der Altstadtkaufleute abtun könnte.
Hier geht es zum Video von Purple Feather