Barocke Storytelling-Fertighäuser
Es gibt einige Bücher zum Thema Storytelling, die man empfehlen kann. Jenes von Pia Kleine Wieskamp mit dem Titel „Storytelling: digital, multimedial, social“ gehört leider nicht dazu.
Der Grund ist schnell erklärt: Auch wenn Pia Wieskamp mehrfach erwähnt, dass man sich in der digitalen Welt kurz und klar zu fassen habe, missachtet sie diesen nützlichen Rat selbst immer wieder. Und so werden zum Beispiel in Kapitel 8 („Der gute Storyteller – was macht ihn aus?“) zehn Wege von US-Kommunikator Garr Raynolds angekündigt, mit denen sich Präsentationen verbessern lassen. Aufgezählt werden dann allerdings erst einmal nur sieben Allerweltsweisheiten, mit denen man in den USA großen Erfolg haben kann: von „Seien Sie persönlich“ über „Überraschen Sie und bringen Sie etwas vollkommen Unerwartetes“ bis hin zu „Seien Sie positiv, optimistisch und humorvoll“. So weit, so banal, so irritierend.
Es geht noch verwirrender
Aber es geht noch verwirrender, denn unmittelbar nach den sieben Tipps zu den angekündigten zehn Wegen offeriert Wieskamp in einem Kasten plötzlich elf (!) „Rezepte für eine gute Story á la Garr Reynolds“. Und da wird der Teig dann noch einmal ausgewalzt. Dort steht unter Punkt 5: „Konzentrieren Sie sich auf das Relevante und entfernen Sie alles, was nicht relevant und wichtig für die Story ist. Alles soll der Geschichte dienen und einen Grund haben, weshalb es in die Geschichte aufgenommen wird. Unwichtige Nebenschauplätze, die keinen Grund haben, nicht aufgelöst werden, sollten weggelassen werden. Um es bildlich auszudrücken: Erzählen Sie im Bauhausstil und lassen Sie barocke, überladene Schmuckelemente weg, die von der tatsächlichen Message ablenken.“ – Ach, hätte Pia Wieskamp doch ihre eigenen Worte beherzigt, anstatt mit ungelenken Sätzen einen klumpigen Textbrei anzurühren.
Der berühmte rote Faden fasert in allen Kapiteln dieses Buches gründlich aus. Dazu gesellen sich Tippfehler und Falschschreibungen („Deppen Leerzeichen“ hat man die früher genannt, wenn von „Multimedia Storys“ die Rede ist), und manchmal sind sogar Grafiken falsch dargestellt. So ist etwa Simon Sineks bekannter „Goldener Kreis“ auf S. 18 genau verkehrtherum beschriftet. Für einen Verlag wie Hanser sind diese Patzer des Lektorats ein Armutszeugnis.
Durchwachsene Praxisbeiträge von Marketingexperten
All das lässt dieses überbordende Kompendium mit seinen 286 zugetexteten Seiten zum Graus für strukturiert denkende Leser werden. Da ändern auch die elf Praxisberichte von deutschen PR-Profis wenig, die ergänzend zu Wort kommen. „Spannend!“, dachte ich anfangs: „Marketingverantwortliche von Siemens, Bosch und Microsoft Deutschland, von Bastei-Lübbe und interessanten Agenturen lassen sich in die Karten schauen!“ – Theoretisch klingt das gut, praktisch erfüllen die elf externen Beiträge nicht allzu oft die hohen Erwartungen. Zwar ist es aufschlussreich, die Konzepte der Menschen kennenzulernen, die große PR- und Marketingbrötchen backen; aber immer wieder gehen sich die Experten auf den eigenen PR-Leim: Sei es, dass ihre Storytelling-Maßnahmen in allzu rosaroten Farben ausmalen; sei es, dass sie die Ergebnisse in einem Marketingsprech präsentieren, der selbst Branchenkundige vor Rätsel stellen kann. Da heißt es zum Beispiel: „Content Marketing fängt dort an, wo Storyloops in Leads umschlagen“ (aha und no na) oder „Zwischen Features-und-Functions [!] der Produktkommunikation wird Beef verlangt“. Wohlgemerkt: Wir reden hier von Storytelling und nicht vom Burger King.
Ungeordneter Story-Baukasten
Auch als Praxisbuch ist Pia Wieskamps Werk leider ungeeignet. Da helfen die Label am Cover („E-Book inside“ und „Komplett in Farbe“) genau so wenig wie das Kapitel 6, „Der Story-Baukasten“. Denn darin stehen erzähltheoretische Banalitäten (Geschichten bestehen aus Einleitung, Hauptteil, Schluss) neben gutgemeinten Tipps, die in der Kürze gar nichts bringen: „Entwickeln Sie Ihre Charaktere und hauchen Sie ihnen Leben ein.“ – Wenn das so leicht ginge, wie es Wieskamp in sieben Zeilen abhandelt, gäbe es mehr gute Geschichten auf dieser Welt. Für das Thema „dramatischer Konflikt“ wendet die Autorin dann überhaupt nur zwei Sätze auf: „Jede Geschichte braucht einen Konflikt oder einen Spannungspunkt. Dabei sollte die Natur des Konflikts von der Zielgruppe nachempfunden werden können.“ – Schön. Aber worin könnte der Kern so eines Konflikts bestehen? Und wie könnte man zu einer Idee dafür kommen? Darüber verrät die Autorin leider nichts.
Apropos Zielgruppe: An wen sich dieses Buch eigentlich richtet, ist mir schleierhaft. Für PR-Experten ist es zu unstrukturiert und mit zu vielen Gemeinplätzen vollgestopft. Es geht zu sehr in die Breite statt in die Tiefe. Aber auch Einsteiger ins Thema Storytelling werden sich im Labyrinth der angerissenen Kreativitäts- und Erzählmodelle in nullkommanichts verlieren und verzweifelt nach einem Ausweg suchen, der sie wieder an die klare Luft frischer Ideen führt. Die gehen dem Buch nämlich ab.
Pia Kleine Wieskamp (Hrsg.): Storytelling: digital – multimedial – social. Mit Beiträgen von Clemens Camphausen u. a. Hanser Verlag: München 2016. 288 Seiten.