Smalltalk-Vademecum
Eine alte Journalistenweisheit besagt, dass in einem Interview oft gescheite Antworten auf dumme Fragen gegeben werden. Diese Regel scheint sich das österreichische Autorenduo Evelyn Peternel und Andreas R. Peternell (die beiden sind weder verwandt noch verschwägert) für sein Buch „Who the fuck is Alice?“ zu Herzen genommen zu haben – versprechen die Autoren doch nichts mehr und nichts weniger als „101 Antworten auf die drängendsten Fragen der Popmusik“. Wer also beispielsweise wissen möchte, was man mit einem betrunkenen Seemann anstellen soll („What shall we do with the drunken sailor?“) oder wer wen wann und warum für sexy hält („Da ya think I’m sexy?“), der ist mit diesem 200 Seiten starken Kompendium bestens bedient. Darüber hinaus erfährt man darin so überraschende Fakten wie etwa, dass Adolf Hitler 1939 für den Friedensnobelpreis nominiert wurde oder dass alle Roulettezahlen zusammengerechnet 666 ergeben.
Evelyn Peternel (Redakteurin bei der Tageszeitung „Kurier“) und Andreas R. Peternell (Marketingleiter beim Kunstfestival steirischer herbst) wildern heiter in den Gefilden des „unnützen“, da ziellosen Wissens, das nicht auf Vertiefung, sondern Verbreiterung aus ist. Und sie tun das auf eine originelle, mitunter hakenschlagende Art, etwa wenn sie auf die Frage „Baby can I hold you?“ (den Titel eines Schmusehits von Tracy Chapman aufgreifend) die durchschnittliche Dauer abhandeln, die eine Aktie an der New Yorker Börse gehalten wird: Lange Zeit wurde hier die Zahl 22 Sekunden in allen möglichen Medien als Indiz für den Wahnsinn des Börsenhandels kolportiert; jedoch – und auch das wird in „Who the fuck is Alice?“ erwähnt – entspringt diese Zeitangabe lediglich einer stark pointierten Aussage des US-amerikanischen Wirtschaftsprofessors Michael Hudson, die er in einem Interview frei von der Leber weg geäußert hat, ohne zu ahnen, dass sie für bare Münze genommen werden und sich jahrelang halten würde.
Die Text-Sammlung von Peternel und Peternell ist thematisch lose nach inhaltlichen Verwandtschaften gegliedert und formal und stilistisch abwechslungsreich angelegt: Neben Glossen, kurzen Essays und feuilletonistischen Kommentaren versammeln die Autoren Zitate, Best-of-Auszüge aus Fragebögen, sie tauchen in Listen ein und erheitern mit Nachdrucken aus alten deutschsprachigen Konversationsbüchern der britischen Armee. Ein Highlight unter den 101 Kurzbeiträgen ist die Antwort auf die Frage des Buchtitels, wer denn Alice sei. Peternel und Peternell sind bei A.L.I.C.E. fündig geworden, der Artificial Linguistic Internet Computer Entity: einem textbasierten Dialogprogramm, auch Chatbot genannt, an dem aktuell rund 300 Wissenschaftler programmieren. Peternel(l) haben A.L.I.C.E. ein paar Fragen zu Identität und Lebenssinn gestellt – mit überraschenden rhetorischen Volten als Antworten.
„Petenerl/Peternell: Kennst du die Band Smokie, die ein Lied über dich singt?
A.L.I.C.E.: Ich habe nie von ihnen gehört.
PP: Schade, das ist ein wirklich nettes Lied – über dich!
A.L.I.C.E.: Es ist schade, dass es ein wirklich nettes Lied über mich ist.
PP: Wieso wiederholst du, was ich sage?
A.L.I.C.E.: Ich überprüfe nur, ob du auch aufmerksam bist.„
„Who the fuck is Alice?“ hat – ähnlich wie der titelgebende Song der niederländischen Band Gompie – das Zeug zum Partyhit; es ist ein echtes Vademecum auf Reisen in die Weiten des gut informierten, amüsanten und abwechslungsreichen Smalltalks.
Evelyn Peternel & Andreas R. Peternell: Who the fuck is Alice? 101 Antworten auf die drängendsten Fragen der Popmusik. Rogner & Bernhard: Berlin 2015. 214 Seiten.